Wann ist ein Ehevertrag „sittenwidrig“?
Von Ehevertrag.org, letzte Aktualisierung am: 20. November 2020
Möchten Ehegatten im Zweifelsfall auf der sicheren Seite sein, können sie einen Ehevertrag zur Festlegung von Besitz und Ausgleichsleistungen aufsetzen. Solch eine Erklärung kann jedoch nicht nach Gutdünken gestaltet werden – ist ein Ehevertrag „sittenwidrig“, dann macht das die Sache ungültig.
Zusammengefasst: Wann ein Ehevertrag sittenwidrig ist
- Ein Ehevertrag ist dann sittenwidrig, wenn er gegen „gute Sitten“ respektive geltendes Recht verstößt.
- Was als sittenwidrig gilt, muss meist fallindividuell geprüft werden; Drohungen, Abhängigkeit oder unverhältnismäßige Bevorteilung eines Vertragspartners begründen in der Regel immer eine Sittenwidrigkeit.
- Wird ein Ehevertrag als sittenwidrig beurteilt, dann ist dieser, sofern nicht anders festgelegt, komplett unwirksam. Der Einschub einer salvatorischen Klausel kann dies verhindern, stellt jedoch keine Garantie auf allgemeine Gültigkeit dar.
Inhalt dieses Artikels
Zum Begriff: Was bedeutet „Sittenwidrigkeit“?
Grundsätzlich wird eine Sache dann als sittenwidrig verstanden, wenn sie gegen den Anstand bzw. gegen ein gerechtes und billiges (im Sinne von angemessen) Denken verstößt.
In der deutschen Rechtsprechung ist der Begriff konkret im § 138 Bürgerliches Gesetzbuch festgehalten. Dort ist er folgendermaßen definiert:
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Die Beschreibungen zeigen zum einen, dass Sittenwidrigkeit auch im juristischen Kontext einen gewissen Deutungsspielraum aufweist; zum anderen, dass dieselbe zur Ungültigkeit einer Sache führen kann – das zählt auch für einen Ehevertrag, der sittenwidrig ist.
Was ist mit “gute Sitten” gemeint?
Nun stellt sich an dieser Stelle zwangsläufig die Frage, was denn eigentlich genau mit guten Sitten gemeint ist – der Begriff mag zugegebenermaßen etwas nebulös klingen. Hier kann sich generell an den jeweilig geltenden Werten einer Gesellschaft orientiert werden, hierzulande entspricht dies dem Grundgesetz. Ein Ehevertrag wäre dann sittenwidrig, wenn er gegen folgende Grundsätze verstößt:
- Würde und Freiheit des Menschen und das Recht auf freie Entfaltung
- Gleichberechtigung von Mann und Frau
- Gleichberechtigung vor dem Gesetz
- Meinungsfreiheit
- Keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Ethnie, Religion, Behinderung etc.
“Sittenwidrig” und “Nichtigkeit” – worin besteht der Unterschied?
Ein Ehevertrag kann dementsprechend nichtig sein, obwohl er nicht sittenwidrig ist – andersherum führt ein solcher Verstoß gegen gute Sitten in der Regel dazu, dass ein kompletter Ehevertrag nichtig ist.
Andersherum kann ein Ehevertrag zum Beispiel sittenkonform sein, wurde aber nicht notariell beglaubigt oder weist Formmängel auf, was als Ausschlusskriterium gilt.
Warum ein Ehevertrag als ungültig erklärt werden kann
Abgesehen von den eher allgemeinen moralischen Grenzen existiert eine ganze Reihe an konkreten Umständen, wann ein Ehevertrag als sittenwidrig gelten kann. Hierzu zählen:
- Unterzeichnung begründet oder entstand aus Abhängigkeit eines Partners
Ein nachweisbares Abhängigkeitsverhältnis macht einen Ehevertrag klar sittenwidrig. Diesbezüglich sind verschiedene Konstellationen denkbar: Es könnte etwa eine finanzielle Abhängigkeit bestanden haben und Betroffene haben dem Ehevertrag nur deshalb zugestimmt, um eine Armut zu vermeiden. Grundsätzlich problematisch ist auch, wenn die Frau zum besagten Zeitpunkt schwanger war. Auch ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis kann einen so aufgesetzten Vertrag hinfällig machen.
- Erpressung oder Androhung führte zur Vertragsunterzeichnung
- Vertragspartner fehlt nachweislich das Verständnis
Kann nachgewiesen werden, dass einer der Unterzeichnenden den Umfang des Ehevertrages zum Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht ausreichend begreift – etwa, weil diesem die Bildung oder die Auffassungsgabe fehlt – dann kann dies die Nichtigkeit eines Ehevertrages begründen. Wenn der Partner gar angelogen wurde, zählt dies als Täuschung nach § 123 BGB. Gleiches könnte dann gelten, wenn einer der Ehepartner sich in einem allgemein nicht zurechnungsfähigen Zustand befand – je nach Umständen kann dies sowohl eine irgendwie geartete, emotionale Instabilität als auch ein Rauschzustand sein.
- der komplette Ausschluss des Versorgungsausgleiches
Der Versorgungsausgleich – also die Aufteilung von Rentenanwartschaften – ist einer der rechtlichen Hauptanliegen nach der Scheidung. Weder Ehemann noch -frau sollen nach der Trennung einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden bzw. existenzielle Probleme fürchten müssen. Wurde kein Ehevertrag ausgesetzt, dann leben die Ehegatten automatisch in einer Zugewinngemeinschaft; bei dieser bestehen konkrete Bedingungen für einen Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung. Wird vollständig auf einen Versorgungsausgleich verzichtet, kann der betroffene Ehevertrag entsprechend sittenwidrig sein – so zum Beispiel dann, wenn die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Trennung derart sind, dass ein Partner erheblich mehr Geld besitzt als der andere.
Auch die salvatorische Klausel schließt eine Sittenwidrigkeit nicht vollständig aus!
Die salvatorische Klausel (lat. „erhaltend“) ist ein Rechtsmittel innerhalb von Verträgen. Sie besagt, dass die Unstimmigkeit einiger Klauseln nicht direkt den kompletten Vertrag aufhebt. Diese Klausel wird in der Regel innerhalb eines Vertrages nicht bei ihrem Namen aufgeführt; stattdessen finden sich Formulierungen mit eben jener Kernaussage. Die salvatorische Klausel findet nicht nur Anwendung im Ehevertrag, sondern auch und vor allem in Arbeitsverträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Hierauf darf sich jedoch nicht verlassen werden. Erstens muss auch solch ein salvatorischer Einschub gesetzeskonform formuliert werden, da er sonst keine Gültigkeit besitzt; zweitens kann eine Sittenwidrigkeit nicht einfach dadurch ausgehebelt werden, dass eine solche Klausel eingeschoben wird.